Die Memminger Hütte in den Lechtaler Alpen wird kurz vor Saisonbeginn von einem Hubschrauber beliefert. Das dauert fast den ganzen Tag und wird vom Hüttenwirt Jarek Schindler gemanagt.

Text: Haris Kovacevic, Fotos: kookie collective/Peter Koren

Noch klebt der Sirup an den Händen. Es stapeln sich die Milchkartons, von denen niemand mehr weiß, wo man sie hinstellen soll. Der Turm aus Säcken von Röstzwiebeln, den man an einem der Tische aufgebaut hat, weil man sonst keinen Platz dafür gefunden hat, wackelt. Kopfnickend hat man sich darauf geeinigt, dass man später einen geeigneteren Platz finden wird. Denn jetzt ist der Hubschrauber wieder da. Ins Einöd der Lechtaler Alpen peitschen seine Rotoren Abwind und Lärm gegen Wände und Fenster der Memminger Hütte. Es ist so laut, dass selbst zwei Nebeneinanderstehende sich nur lippenlesend und gestikulierend darüber verständigen können, dass die nächste Ladung Butter gerade keinen Platz in der Küche hat. Mehr Zeit, um über einen besseren Ort zu sinnieren, gibt es aber nicht. Denn in der Türe steht schon wieder jemand, der etwas in den Händen hält und ein Wort schreit. Möglicherweise hat er es auf dem Karton gelesen. Oder er glaubt, es von dem jungen Mann gehört zu haben, der draußen die Hubschrauberlieferungen in Empfang nimmt und schon öfter hier oben gewesen zu sein scheint.

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Der Weg nach oben

Jarek Schindler wurde in Polen geboren, kam aber mit vier Jahren nach Tirol. Schon mit 23 Jahren betrieb er eine Skihütte und ein Bergrestaurant. Doch bald zog es ihn in abgelegenere Gefilde. So wurde er zunächst Pächter einer Hütte im Tannheimer Tal, um dann die Memminger Hütte zu übernehmen.

Wenige Stunden bevor sich die Säcke, Kartons und Konserven überall im Eingangsbereich seiner Hütte stapeln, sitzt Jarek im Auto. Er führt eine Kolonne an, die sich von Bach im Außerfern auf den Weg macht. Hinter ihm fahren mit Reisetaschen und Wanderrucksäcken voll bepackte Autos, einige Lieferwägen, ein Lastwagen und ein Bus. Der Forstweg ist eng, aber um die Uhrzeit noch menschenleer. Die Stunde Fahrt vergeht schnell. Treffpunkt ist der Hubschrauber ganz in der Nähe der Talstation der Materialseilbahn. Dort erklärt Jarek, was es zu tun gibt, in welcher Reihenfolge es geschehen muss und was es zu beachten gilt. Es ist schon eine Riesenaufgabe, die Abläufe zu managen, wenn alles einigermaßen glatt läuft. Doch dann kommt die Information, dass die Nachhut der Kolonne, der Eurogast-Lastwagen und -Bus, in einer verschneiten Kurve am Forstweg stecken geblieben sei. Jarek schickt einen Mitarbeiter zu einem wenige hundert Meter entfernten Verschlag: Da werde er Pickel und Schaufel finden, das müsse reichen. Derweil soll der Helikopter das Personal und die restliche Versorgung hinaufschaffen.

Flaues Gefühl im Magen

Es ist nicht nur die Höhenangst, die einem im Magen liegt, wenn man sich für den Flug bereit macht. Das Wichtigste sei es, beim Warten auf das Signal zum Einsteigen in der Hocke zu bleiben. Denn erst wenn der Hubschrauber vollen Bodenkontakt hat, sicher gelandet ist, die Tür geöffnet wurde und der Pilot sein Okay gegeben hat, darf man gebückt Platz nehmen. Kaum sitzt man auf der hinteren Bank und wundert sich, dass auf gefühlten zwei Quadratmetern alle und alles Platz gefunden haben, schließen sich auch schon die Türen. Sekunden später spürt man dieses ungewohnte und unangenehme Druck- und Schwebegefühl in der Brust – und zwar merklich intensiver als beim Start in einem Flugzeug.

Zwischen den Bergen, bei den Links-Rechts-Manövern, verliert man zunehmend die Orientierung, sieht auf beiden Seiten Bäche, Wiesen und Wanderwege vorbeiziehen. Bis irgendwann Himmelblau und Schneeweiß den Ausblick dominieren. Die Strecke vergeht – im wahrsten Sinne des Wortes – wie im Flug. Dann ragt plötzlich aus der gebirgigen Schneewüste die beeindruckende Holzfassade der Memminger Hütte hervor.

Fünf Stunden Wanderung braucht es, um vom Tal aus hierher zu kommen. Die Materialbahn schafft es in zwanzig Minuten. Der Helikopter in circa drei.

Eingenetzt und bereit gemacht

Der Helikopter kehrt nach einem scheinbar nur Sekunden dauernden Stopp zurück ins Tal, um die nächste Ladung abzuholen. Alles geht sehr schnell: Während auf der Hütte die Ware eingelagert wird, bereitet man unten schon die nächste Charge vor. Und so geht es über Stunden.

Auch der Eurogast-Laster trifft nach der Befreiung aus dem Eis an der Talstation ein: Im Gepäck hat er Maizena, Röstzwibeln, Vanillinzucker, Dessertsauce mit Schokoladengeschmack, Biskotten, Nudeln, Chips, Erdnuss-Snips, Knödelbrot, Joghurt, Butter, Crème Fraîche, Tee, Konfitüren, Cornflakes, Müsli und noch vieles mehr. Alles wird eingenetzt und für den Abflug bereit gemacht.

Mehr als ein Ferialjob

Die Sonne scheint unerbittlich auf die Terrasse vor dem Eingang der Memminger Hütte, wo das etwa zehnköpfige Team sich immer wieder wenige Sekunden lang sammeln kann, bevor die nächste Ladung eintrifft. Ein Großteil der Helfer kommt aus unterschiedlichsten Teilen Deutschlands, studiert und freut sich über den Ferialjob. Einige waren noch nie höher als 1.000 Meter über dem Meeresspiegel und können sich an den Schluchten und Gipfeln kaum sattsehen.

„Es ist für die meisten dann mehr als ein Ferialjob“, sagt Schindler. Auf der abgelegenen Schutzhütte wachse das Team zu einer kleinen Familie zusammen. Handy und Internet werden weniger genutzt. Dafür rede man mehr miteinander. Schließlich gelte es, die enorme Aufgabe gemeinsam zu bewältigen und in den nächsten vier Monaten bis zu 13.000 Übernachtungen zu betreuen. „Wir versuchen immer gemeinsam zu frühstücken, machen Ausflüge, unterstützen uns einfach, wo und wie wir können“, beschreibt Schindler den Zusammenhalt im Team. An ihren freien Tagen können die Staff-Mitglieder gratis Hütten in der Umgebung besuchen – ein Deal, den Jarek mit den anderen Wirten geschlossen hat.

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Das nahe Leben

Ein letztes Mal hebt der Hubschrauber vor der Hütte ab. So beeindruckend sie sich in der Früh aus dem Schnee beim Anflug hervorgehoben hat, so schnell verschwindet sie beim Abschied hinter den Gipfeln und Bergen der Außerferner Alpen. Bis zu 150 Menschen finden, von den Notschlafstellen abgesehen, pro Nacht in der Schutzhütte Unterschlupf.

Und auch wenn Schindler all das schon eine Weile macht und dabei natürlich mit dem einen oder anderen Problem zu kämpfen hatte, möchte er die Gastronomiezeit auf der Schutzhütte nicht missen: „Es ist für mich Jahr für Jahr ein völlig neues Erlebnis.“ Wichtig sei ihm, dass von allen, die die Schutzhütten nutzen, auch wahrgenommen und wertgeschätzt werde, was er und sein Team auf sich nehmen. „Wir sind eben kein Hotel, auch wenn wir uns bemühen, den Gästen einen gewissen Komfort zu bieten“, sagt er. Die Schutzhütte biete eben, ganz ihrer eigentlichen Intention entsprechend, Schutz, vor der an sich erbarmungslosen, aber eben wunderschönen Natur, die sie umgibt. Gäste bekommen im besten Fall nur die Schönheit zu spüren. Schindler und sein Team wissen aber, dass man sich hier oben kümmern muss, damit alles in Ordnung ist: „Strom, Wasser und Nahrung gibt es nur, wenn wir auch etwas dafür tun“, erklärt er. „Das Leben ist einem hier oben eben ganz, ganz nahe.“

© Daniel Hölter

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