Wasser, Luft, Licht und Liebe

Sprossen – auch als Sprossengemüse oder Keimsprossen bekannt – sind immer mehr in aller Munde: Die gekeimten Pflanzen sind gesund, lassen sich einfach produzieren und überzeugen optisch wie geschmacklich auf ganzer Linie.

Text: Lisa Schwarzenauer

Ein paar Keimsamen, etwas Wasser und Luft – mehr braucht es nicht, um das ganze Jahr über innerhalb weniger Tage frische Sprossen zu ziehen und in der Küche nutzen zu können. Es entsteht kein Abfall und der Geschmack reicht je nach Sorte von nussig bis scharf, was sie zu lange unterschätzten Allroundern in der Küche macht: Sprossen passen als würziges, knackiges Topping auf Brot und Salat, schmecken aber auch in Pfannengerichten, Suppen, Smoothies oder als Beilage.

Inzwischen entdecken immer mehr die vielseitigen Keimpflanzen für sich und ihre Küche, sagt Maria Pircher, die in Landeck unter dem Namen Tonis Sprossengarten seit 27 Jahren Sprossen anbaut und vertreibt. „Wir haben vor einigen Jahren den vegetarischen Schub stark gespürt, und jetzt kommt langsam der vegane Schub, der mehr Interesse und Aufmerksamkeit bringt. Man merkt, dass die Leute sich mehr Gedanken machen, was sie essen und woher sie die Produkte bekommen.“ Sie erhalte auch immer wieder Anrufe von Leuten, die sich erkundigen wollen, woher sie ihre Sachen beziehe, wie die Kultivierung funktioniere und welche Verarbeitungsmöglichkeiten es gebe. „Das Interesse ist sehr gewachsen, besonders von Privatpersonen.“

Innovative Gewächse

Pircher hat Tonis Sprossengarten 1996 zusammen mit ihrem Mann – der der Namensgeber für das Unternehmen ist, sich inzwischen aber aus dem operativen Geschäft zurückgezogen hat  – gegründet. Im Vordergrund standen dabei anfangs nicht die Sprossen selbst, sondern die Familie, die bis dahin zwischen der Schweiz und Österreich aufgeteilt lebte und wieder ein gemeinsames Zuhause wollte. „Wir haben gesagt, entweder gehen wir gemeinsam in die Schweiz oder zurück nach Österreich. Dann haben wir uns in der Schweiz die Idee abgeschaut und sind nach Österreich“, erzählt sie. Auf die Sprossen gekommen sei Familie Pircher, weil sie damals in der Region ein vergleichsweise unbekanntes Produkt waren und sie die Chance sahen, etwas Innovatives nach Österreich zu bringen. „Wir waren relativ naiv, aber wir haben gewusst, das ist ein super Produkt, das passt.“

Heute produziert Maria Pircher bis zu zehn Tonnen Sprossen im Jahr, die an Großhandel, Gastro- und Privatkunden vertrieben werden. Dafür setzt sie Keimsamen – die sich von „normalen“ Samen unterscheiden und so gezogen sind, dass sie nur Blätter, aber keine Früchte bekommen – über Nacht mit Wasser an, damit sie sich mit Flüssigkeit vollsaugen können, dann werden sie durchgespült und in ihre Kultivatoren gefüllt. „Das klingt nach einer Wahnsinnsmaschine, aber im Prinzip sind das nichts anderes als zylindrische Plastikbehältnisse mit einer Wasserdüse, die maschinell bewegt werden“, erklärt sie. Diese Bewegung brauche es, damit die Sprossen nicht wie beispielsweise von der Kresse bekannt statisch nach oben wachsen. Nach ein paar Tagen sind die Sprossen ausgewachsen, werden nochmal durchgewaschen, von Samenhüllen befreit und in einer Zentrifuge von Wasser befreit. Dann sind sie bereit für die Verpackung und Lieferung.

"Man merkt, dass die Leute sich mehr Gedanken machen, was sie essen und woher sie die Produkte bekommen."
Maria Pircher, Geschäftsführerin Tonis Sprossengarten

Für jeden Geschmack

Pircher hat 15 verschiedene Sorten Sprossen im Angebot, geben würde es allerdings noch weit mehr. „Ich hatte zu Spitzenzeiten 36 Sorten, habe das dann aber orientiert an der Kundennachfrage verkleinert, weil es einfach ein extremer Aufwand ist, die Samen zu besorgen und zu kontrollieren. Da hängt ganz viel dran, bis ich die Sprossen wirklich verkaufen kann und darf“, sagt sie. Manche Sorten würden sich auch einfach nicht für Pirchers Methode der Kultivierung eignen: „Als krasses Beispiel kann man sich Kresse anschauen, die braucht ein Trägermedium wie Erde oder auch ein Blatt Küchenrolle. Wenn Kressesamen mit Wasser in Berührung kommen, verkapseln sie sich und keimen nicht. Bei Basilikum ist es leider das gleiche.“ 

Wenn Sprossen für Pircher geeignet sind, verhalten sie sich dafür sehr ähnlich: Die meisten Sorten brauchen zwischen fünf und sieben Tage, bis sie verkaufsfertig sind, es gebe aber auch Varianten, bei denen der Prozess bis zu zwei Wochen dauert. Hülsenfrüchte, die keine Blätter, sondern nur einen Keim bekommen und entsprechend als Keimlinge kategorisiert werden, brauchen dagegen nur drei Tage. Theoretisch könnte sie bei einigen Sorten noch einen Tag herausholen, erzählt Pircher: „Mit Wärme würden sie schneller wachsen, aber dann sind sie nicht so robust. Es ist besser, wenn man sie bei kühleren Temperaturen und etwas langsamer wachsen lässt, dann bleiben sie länger frisch.“

"Sprossen sind ein Naturprodukt, und Naturprodukte verhalten sich immer wieder ein bisschen anders."
Maria Pircher

Natur im Glas

Besonders einfach sei die Kultivierung von Radieschensprossen und anderen Rettichsorten, die in fünf Tagen fertig und dank ihrer dickeren Stängel auch besonders gut haltbar seien. Wirklich kompliziert sei keine Sorte, aber bei manchen – wie Zwiebel – brauche es Geduld: „Da schaut man drei Tage in den Keimer und es passiert nichts, die keimen erst am dritten, vierten Tag. Zum Ende hin brauchen sie dann nur ganz wenig Wasser, sonst faulen sie.“ Man bekomme relativ schnell ein Gefühl dafür, was die einzelnen Sorten benötigen, aber es sei auch bei ihr nach fast 30 Jahren immer noch teilweise Learning by Doing: „Sprossen sind ein Naturprodukt, und Naturprodukte verhalten sich immer wieder ein bisschen anders.“

Am wichtigsten sei aber bei jeder Sorte, auf die Hygiene zu achten. Durch ihre Kultivatoren kann Pircher die Sprossen regelmäßig spülen und verhindern, dass sich unerwünschte Keime und Bakterien bilden. Werden dagegen klassische Schraubgläser oder auch Sprossengläser genutzt, müssen die Sprossen zweimal täglich durchgespült und das Wasser danach wieder abgegossen werden. „Wenn man das beachtet, kann eigentlich nicht viel schiefgehen“, betont Pircher.

© Axel Springer

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