Zu Gast in Hannes Müllers Hotel Die Forelle am Weißensee, mit seiner regional verwurzelten, saisonal dynamischen Haubenküche.
Text: Michael Rathmayr
Trotz des bescheidenen Wetters an diesem Mittwoch, Anfang Mai, startet der jüngste Müller im Bunde nachmittags direkt an den See. Dass es kühl ist und regnet, kann auch seine Vorteile haben. Das Fußballtraining entfällt – so kann der 13-jährige Lorenz Müller den ersten Tag des Jahres, wo hier am Weißensee endlich wieder gefischt werden darf, samt Kumpel und Angelruten begehen. Es tummelt sich einiges unter der glasklaren Oberfläche des schmalen, elf Kilometer langen Bergsees: Reinanke, Seeforelle, Hecht, Barsch, Zander, Schleie, Rotauge. Man kann die Fische verstehen: Es ist schon ein ziemlich perfektes, vielfältiges Naturidyll hier heroben auf guten 900 Höhenmetern in den Gailtaler Alpen, eine knappe Autostunde nordwestlich von Villach.
Lorenz spannt gegen das gröbste Nass von oben schnell einen Sonnenschirm auf (man ist schließlich nicht aus Zucker), die Ruten werden platziert – und Action. Wobei die Action auf sich warten lässt, überhaupt selten als Initialzündung für dieses spezielle Hobby ins Treffen geführt wird. Es macht den Eindruck, als würden die Dinge in Techendorf am Weißensee ganz allgemein recht entspannt ablaufen.
Unaufgeregt & delikat
Auch in der Küche des keine hundert Meter von der Wasserkante gelegenen Hotels Die Forelle herrscht eine sehr amikale, beinahe gemütliche Atmosphäre. Gut 40 Gäste werden heute Abend bewirtet, der Großteil Hausgäste, dazu einige Restaurantbesucher. Hannes Müller, seine Frau Monika und ihr Team haben alles im Blick. Die Ausrichtung von Müllers regional wie saisonal bestimmter Küche wird konsequent, unaufgeregt und hocharomatisch in Szene gesetzt. Mehr als 30 Bauern beliefern Die Forelle mit ihren Waren. Ein wertschätzendes Miteinander stehe dabei im Vordergrund, so Müller, von dem „die Produzenten ebenso profitieren wie wir“.
Klimbim braucht man weder an den Wänden noch auf den Tellern zu suchen. Über Auszeichnungen wie die vier Hauben von Gault & Millau („bis in die letzte Nuance ausgeklügelte Jus und Saucen“, „reduziert fürs Auge, imposant im Geschmack“) freut man sich. In der Auslage werden diese aber keinesfalls platziert: „Wir lieben das Understatement“, sagt Hannes Müller. Monika kümmert sich um Mitarbeiter, Service und Gestaltung, er selbst neben der Küche noch um die Buchhaltung und ums Marketing.
Im Winter gebe es viel Lagergemüse, Eingelegtes und Fermentiertes, am Frühstücksbuffet anstatt frischer Früchte aus dem Flugzeug lieber fünf Sorten hausgemachte Kompotts. Derweil landen gerade 40 Kilo frischer Hecht in der Forellen-Küche, das Team macht sich direkt ans Filetieren.
Familienbesitz
Das Haus, „unser Hof“, ist seit mehreren hundert Jahren im Besitz der Familie. Auch Hannes’ Eltern helfen immer noch mit im Betrieb: Mutter Erika bäckt mehrmals wöchentlich frisches Brot und betreut den Kräutergarten, Vater Hans kümmert sich um die Landwirtschaft und verantwortet den Weinkeller mit. Die robusten Krainer Steinschafe der Müllers kreisen nach Lust und Laune ums Haus. Ihre Runden werden dank Erweiterungen stetig größer – man habe aber immer „behutsam, mit angezogener Handbremse ausgebaut“, sagt Hannes Müller. Um sich treu bleiben zu können, sich nicht mit zu großen Investitionen auf dünnes Eis zu begeben. Der Stil ist schlicht: viel Holz (aus der Region), drinnen Leinen, Walkstoffe in warmen Erdtönen, dazu maximal große Fenster in Blickrichtung See, der überraschend wenig verbaut ist. Offenbar hat man hier schon vor Generationen bemerkt, dass ein bisschen Freiraum auf lange Sicht die bessere Variante für alle ist. Das Konzept von Hannes und Monika Müller scheint aufzugehen. Bis dato werden die Hotelbetten bei sehr guter Auslastung ausschließlich individuell vermarktet, keine Buchungsplattformen im Spiel. Auch gibt es immer noch Zimmerschlüssel statt der allgegenwärtigen Zimmerkarten: „Wir müssen nicht bei allem mitmachen, was gerade als Must-have gilt.“
"Wir müssen nicht bei allem mitmachen, was gerade als Musst-have gilt."
Hannes und Monika Müller
Am Ruder
Vater Hans hatte einen pragmatischen Zugang zur Berufswahl seines Sohnes, als dieser Ambitionen zeigte, die Forelle irgendwann zu übernehmen. Er meinte, Hannes solle doch Koch lernen. Das sei die höchstbezahlte Position im Hotelbetrieb, da ließe sich folgerichtig am meisten einsparen. Ein Glück, dass er damit bei Hannes’ Verstand und Herzen gleichermaßen ins Schwarze traf. Es macht ganz den Eindruck, dass die Freude am Kochen und am Zusammenwirken mit den Produzenten den großen Arbeitseinsatz aufwiegen.
Wobei Hannes Müller neben dem klassischen Werdegang (Hotelfachschule in Villach, später kulinarische Eckpfeiler wie Goldener Hirsch in Salzburg oder Korso in Wien) zwischenzeitlich auch als Rezeptionist in Sun Valley, Idaho und als Fahrradkurier in Wien gearbeitet hat. In Sachen sportlicher Ausgleich ist er begeisterter Langläufer und zweifacher Staatsmeister im Marathoneislauf, der über 200 Kilometer Weißenseer Natureis geht. Viele Holländer kommen im Winter gerade dafür an den See, der mitunter größten Natureisfläche Europas. Langläufer sind hier ebenso bestens versorgt, das kleine Skigebiet südlich des Sees dient den alpinen Technikern des ÖSV als Trainingsstätte. Im Sommer locken Wassersport, Mountainbiken und Wandern im umliegenden Naturpark. Motorboote sind am Weißensee keine erlaubt, der Wind ist auch ein seltener Gast – wer aufs Wasser will, muss rudern oder paddeln.
Junior Lorenz Müller hat die nasskalte Angelpremiere 2023 einstweilen mit Spaß, aber leider ohne großen Fang beendet. Macht nichts – die Saison ist noch lang, bis Ende November bleibt Zeit.
© Michael Rathmayr