Raus aus der guten Stube

Teure Lokalimieten, Homeoffice als Dauerzustand, Image und Sichtbarkeit, off- und online: All das nach neuen und flexiblen, dem Zeitgeist verpfichteten Vertriebskonzepten. Zwei davon stellen wir hier vor.

Text: Michael Rathmayr

Paul & Ernst

Street Food Solutions

Auf einem ehemaligen Werksgelände von Swarovski in Wattens sind Paul&Ernst zu Hause. Mehr als 700 Lastenräder, Anhänger und Push-carts für die mobile Gastronomie gingen in den vergangenen fünf Jahren von hier aus in die Welt hinaus. 

In 26 Ländern kann man mittlerweile auf eines der formschönen Räder mit der „großen Klappe“ treffen. Sie bieten bei minimaler Aufbauzeit eine Arbeitsfläche von 2,7 Metern – viel Platz für Kundenwünsche aller Art: Koch-, Eis- und Getränke-Bikes in vielen Variationen sind im Sortiment, allesamt mit Elektroantrieb und autarker Kühlmöglichkeit. Und falls der Wunsch noch nicht Programm ist, wird gemeinsam eine individuelle Lösung entwickelt.

Das Rad, neu erfunden

Designer Paul Kogelnig und Architekt Ernst Stockinger stecken hinter Paul&Ernst. Der noch junge, globale Trend, dass Streetfood durchaus auch delikat sein darf, habe die Nachfrage beflügelt, meint Kogelnig. Hinzu kämen Aspekte wie der Nachhaltigkeitsgedanke: „Der alte Streetfood-­Dieselbus ist zwar immer noch schön, aber auch eine Kohlendioxid-Schleuder und daher längst nicht mehr so gut geeignet wie das Fahrrad, die eigene Marke mit positiv besetzten Themen aufzuladen.“

Nebenbei zwingen die absurd teuren Mieten in den innerstädtischen Frequenzlagen Gastronomen und solche, die es werden wollen, kreativ zu werden. Die örtliche Flexibilität, die ein Rad liefert, seine vielfältigen Einsatzmöglichkeiten, die positiven Assoziationen – das seien die wichtigsten Beweggründe, die Gastronomen zu Paul&Ernst führen, so Paul Kogelnig.

"Das Fahrrad eignet sich sehr gut, die eigene
Marke mit positiven Themen aufzuladen"
Paul Kogelnig

Alles drin

Dabei sind es längst nicht nur reine Streetfood-Anbieter, die bei den Bikes aus Tirol landen. Oft werden die Räder zur Erweiterung des Geschäfts genutzt, auch als Kommunikationsmittel, um dem Markenauftritt mehr Verve zu verleihen. Hotels und Apartmentanlagen nutzen die Räder, um ihr Angebot auszubauen und ihre Sichtbarkeit zu erhöhen. Restaurants setzen sie ein, Kunden ins Lokal zu ziehen – auch die Münchner Branchengranden Käfer wollen sich damit ein jüngeres, agiles Image verpassen. Selbst die Kreuzfahrtflotte von TUI zählt zu den Kunden von Paul&Ernst. Die Räder könnten dort nachmittags für Smoothies am Pool genutzt werden, später werde vor dem Abendessen am Ausguck vielleicht noch eine Runde Craft Beer kredenzt.

„Die meisten Gastronomen kennen die Kundenflüsse sehr genau. Da hilft die Flexibilität unserer Räder, schnell auf Wünsche und veränderte Bedürfnisse zu reagieren.“ Auch als Geschäftserweiterung würden die Bikes oft genutzt. „Wenn, sagen wir, ein vorhandenes Haubenrestaurant für die Laufkundschaft zu teuer ist: Warum nicht ein Food-Bike vors Lokal stellen und zusätzlich Tacos oder Crêpes anbieten?“

Ein Segen

Auch das niederländische Militär ist übrigens schon in Wattens vorstellig geworden. Man hätte erwogen, die Bikes als Feldküchen zu erwerben. Bereits Kunde ist die Katholische Kirche Österreichs. Die Räder von Paul&Ernst dienen bei Feldmessen als Altare: Amen.

Paul & Ernst

2015 begannen Paul Kogelnig und Ernst Stockinger in einer Wiener Garage, an ihrer Vision vom besten Lastenrad für die Gastronomie zu tüfteln, zu schweißen und zu schrauben. Zwei Jahre später gingen die ersten Räder an Kunden raus, seit 2018 ist man mit Paul&Ernst in Wattens daheim.

Portfolio und Nachfrage wachsen stetig weiter, 80 Prozent Wachstum konnte man in den letzten Jahren im Schnitt verzeichnen. Derzeit wollen Paul&Ernst via Crowd-Investment-Kampagne weiter expandieren und neue Märkte erobern. www.paulandernst.com

Stefan Schartner

The Green Food in Glas Company

Im Homeoffice gibt es keine Kantine, nicht überall steht ums Eck ein Take-away. Und nur mit Wurstsemmeln und sonstigen Schnellschüssen wird der Arbeitsalltag nicht eben schöner. Umstände, die Stefan Schartners Idee der Wochenmenüs frei Haus in die Karten spielen. 

Der erfahrene Koch und Gastronomiemanager stellte in der Lockdown-Schleife vor eineinhalb Jahren kurzerhand selbst auf Heimarbeit um: Gekocht wird seitdem nicht mehr im ersten Bezirk in Wien, sondern zu Hause im beschaulichen Sierndorf, Niederösterreich. Die frisch zubereiteten Mahlzeiten landen via Schöpflöffel im umwelt- und trendbewussten Glas, statt per Pinzette auf Porzellan. Verliefert wird einmal wöchentlich an die Kunden in der Region – vom Haubenkoch persönlich.

Gut getaktet

„The Green Food in Glas Company“ nennt sich das Unterfangen, das Schartner mit seiner Frau Birgit betreibt. Das Wochenmenüangebot geht immer freitags an die Kunden. Bis Montagabend kann bestellt werden, dienstags wird nach Bedarf eingekauft, Mittwoch bis Freitag gekocht. Samstags werden die Gläser zugestellt, allesamt bei 95 Grad abgefüllt und damit mindestens eine Woche haltbar.

Serviert wird jede Woche Neues, dieser Tage z. B. „Putenbruststreifen in Kürbis-Paprikasauce“ oder „Kokoscurry mit Süßerdäpfel & Brokkoli“. 9 Euro kostet ein Glas, samt Beilage für 2,50 Euro gingen sich da zwei gute Portionen aus, sagt Schartner. Beim Einkauf achtet er auf Regionalität: Eier kommen vom Bauern nebenan, Fisch vom Forellenhof im nahen Eggendorf.

Mundpropaganda

„Da hat sich schon viel verändert in den letzten Jahren. Die Leute sind mehr zu Hause, wollen gut essen – aber es fehlt ihnen oft die Zeit, manchmal auch das nötige Können“, so Schartner. Der wachsende Kundenstamm zählt derzeit 120 Haushalte und Firmen, 40 bis 60 Lieferungen gehen jede Woche an die großteils privaten Kundinnen und Kunden raus.

Mundpropaganda ist hier das große Stichwort. Der direkte Kundenkontakt hilft, Feedback gibt es jeden Samstag zwischen Tür und Angel. Viel größer werden will Schartner ohnehin nicht, die neu gewonnene Flexibilität keinesfalls wieder verlieren. „Ich kann mir die Zeit selbst einteilen und endlich so kochen, wie ich will, jede Woche neu. Man könnte sagen, ich habe mir den Beruf zum Hobby gemacht.“

"Den Leuten fehlt zu Hause die Zeit
- gut essen wollen sie trotzdem."
Stefan Schartner

Stefan Schartner

Vom Beruf zum Hobby: Schartner beim „Anrichten“

Der Haubenkoch aus Sierndorf hat am Tulbingerkogel gelernt. Bei Steigenberger, Hilton, Bristol, Hollmanns Salon und Spillerner Gastwirtschaft war er später in der Küche, teils auch im Management. 

Die Idee zu den Wochenmenüs im Glas kam ihm fast durch Zufall: Einer Freundin schenkte er zu Weihnachten für eine Woche frisches Essen – von ihm zubereitet, direkt an ihre Haustür geliefert. Sie war begeistert, wollte dauerhaft so verköstigt werden. Weitere Bekannte und Freunde kamen bald dazu, drei Monate später war The Green FIGC gegründet. www.thegreenfigc.at

© Michael Rathmayr

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